Ergonomie

Der Begriff Ergonomie ist abgeleitet von den beiden griechischen Wörtern "ergon" für Arbeit und "nomos" für Gesetz oder Regel. Erstmals wurde der Begriff Ergonomie von dem polnischen Naturwissenschaftler Jastrzebowski im Jahre 1857 benutzt; eine breite Verwendung ergab sich nach 1950 mit der Gründung der "Ergonomics Research Society". In Deutschland sind Praktiker und Wissenschaftler aus den Bereichen Ergonomie/Arbeitswissenschaft in der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft vertreten.

Was bedeutet Ergonomie?

Unter Ergonomie wird ein interdisziplinäres Wissenschaftsgebiet verstanden, das sich mit dem Zusammenwirken von Mensch, Arbeit und Technik beschäftigt. Unter Einbeziehung von Erkenntnissen von Wissenschaftsgebieten wie Medizin, Biologie, Arbeitsphysiologie, Arbeitspsychologie und Ingenieur- und Sozialwissenschaften strebt die Ergonomie die menschengerechte Gestaltung der Arbeit bzw. von Arbeitssystemen an. Hierbei steht die Wechselbeziehung zwischen Technik und Mensch und eine aus der Arbeitsaufgabe resultierende, ausgewogene, optimale Belastung und Beanspruchung des arbeitenden Menschen im Vordergrund (DIN EN ISO 6385:2004).

Ergonomie und Arbeitswissenschaft

Die Begriffe Ergonomie und Arbeitswissenschaft werden häufig synonym verwendet. Die Arbeitswissenschaft umfasst jedoch neben der (klassischen) Ergonomie weitere Gebiete, wie z. B. Aus- und Weiterbildung, Zeitwirtschaft, Entgeltsysteme.

Für die ergonomische Beurteilung von Arbeitsplätzen bzw. Arbeitssystemen wurden Anfang der 1970er Jahre von Rohmert/Kirchner Bewertungsebenen entwickelt und in Westdeutschland von der Praxis und den Sozialpartnern weitgehend akzeptiert. Auch in der damaligen DDR wurden von Arbeitswissenschaftlern um Hacker, Dresden, ähnliche Bewertungsebenen entwickelt. Die in der Ergonomie wie generell in der Arbeitswissenschaft verankerte Bewertungshierarchie in der ursprünglichen Form umfasst vier Stufen: Ausführbarkeit, Erträglichkeit, Zumutbarkeit und Zufriedenheit

Ergonomie am Arbeitsplatz: Die vier Stufen der Bewertungshierarchie

1. Stufe: Ausführbarkeit

Ist die Arbeit mit den dafür vorgesehenen Personen ausführbar? Eine Arbeit ist ausführbar, wenn ein Mensch unter Berücksichtigung seiner biologischen Gegebenheiten die Tätigkeit verrichten kann (z. B. Reichweite der Arme, Höhe der ausübbaren Kräfte). Teildisziplinen vorwiegend: Anthropometrie, Psychophysik

2. Stufe: Erträglichkeit

Ist die Arbeit auf Dauer für die dafür vorgesehenen Personen erträglich? Eine Arbeit gilt als erträglich, wenn sie ohne Gefahr einer Beeinträchtigung der Gesundheit regelmäßig, das heißt über die ganze Arbeitsschicht und über ein gesamtes Berufsleben, ausgeübt werden kann. Teildisziplinen vorwiegend: Arbeitsphysiologie, Arbeitsmedizin

3. Stufe: Zumutbarkeit

Sind die Arbeit und die zu erwartenden Arbeitsbedingungen zumutbar? Teildisziplin vorwiegend: Soziologie

4. Stufe: Zufriedenheit

Werden die für die Arbeit vorgesehenen Personen mit der Arbeit und den Arbeitsbedingungen zufrieden sein? Teildisziplinen vorwiegend: Individual-, Sozialpsychologie.

Das erweiterte Bewertungsraster der Ergonomie

In den 1980/1990er Jahren hat sich der Blickwinkel in z. T. mühsamen Prozessen geweitet und frühere Kontroversen zwischen Ingenieur-/Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften sind in den Hintergrund getreten. Ergebnis ist ein erweitertes Bewertungsraster, das die vier bereits etablierten Ebenen breiter definiert und ergänzt um Sozialverträglichkeit und Persönlichkeitsförderlichkeit. Im Bereich der Normung sind diese Kriterien u. a. in die Software-Ergonomie aufgenommen worden (DIN EN ISO 9241).

Grundaufgaben der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung / Arbeitssystemgestaltung

  • Anpassung der Arbeitsaufgabe und der Arbeitsbedingungen an den Menschen (= Arbeits-/Arbeitssystemgestaltung)
  • Anpassung des Menschen an die Arbeitsaufgaben und die Arbeitsbedingungen (= z. B. Ausbildung, Einarbeitung, Rehabilitation).

Ergonomische Arbeitsgestaltung

Ergonomische Arbeitsgestaltung soll Humanität und Wirtschaftlichkeit gleichermaßen berücksichtigen. Wesentliche ergonomische Gestaltungsbereiche lassen sich wie folgt gliedern, wobei jeweils auch mögliche psychosoziale Belastungsfaktoren zu berücksichtigen sind:

Gestaltung des Arbeitsplatzes unter Berücksichtigung von:

  • Körperabmessungen und Geschlecht
  • Körperhaltung
  • Körperkräften
  • Wirkraum des Hand-Arm- und Bein-Fuß-Systems
  • Gesichts- und Blickfeld (Abbildung).

Gestaltung von Arbeitsmitteln und Einrichtungen

  • Auswahl und Formgebung von Hand- bzw. Fußbedien- und Stellteilen
  • Auswahl und Ausführung von Anzeigen, Sichtgeräten und Signaleinrichtungen
  • Auswahl und Einsatz von Arbeitshilfen und Werkzeugen
  • Auswahl und Einsatz geeigneter Arbeitstische und -stühle (Abbildung).

Gestaltung der Arbeitsumgebung

  • Lärm: Minderung der Entstehung und Ausbreitung von Schallwellen
  • Mechanische Schwingungen (Vibrationen): Minderung der Entstehung und Übertragung auf den menschlichen Körper
  • Klima: Abstimmung von Lufttemperatur, -feuchtigkeit, -geschwindigkeit und Wärmestrahlung unter Beachtung von Kleidung und Tätigkeit
  • Beleuchtung: Abstimmung von Licht- und Beleuchtungsstärke, Leuchtdichte, Reflexion und Farbgestaltung
  • Gefahrstoffe: Minimierung von festen, flüssigen und gasförmigen Stoffen, die gesundheitsschädigende oder -beeinträchtigende Wirkung haben können
  • Strahlung: z. B. optische Strahlung und elektromagnetische Felder.

Gestaltung der Arbeitszeit

  • Festlegung der täglichen Arbeitszeit
  • Festlegung der Ruhe- und Erholungspausen (Pausenregime)
  • Auswahl des Schichtsystems
  • Einführung von flexiblen Arbeitszeitsystemen (Gleitzeit usw.).

Gestaltung der Arbeitsstrukturierung

  • Erweiterung der Arbeitsinhalte (Eigenverantwortung), Job-Rotation
  • Arbeitsverteilung und Organisationsformen (Einzelarbeitsplatz, Gruppenarbeit, Telearbeit).

Bei der Entwicklung von neuen oder der Veränderung von alten Arbeitssystemen muss die Ergonomie integraler Bestandteil der Gesamtplanung sein. Sonst besteht die Gefahr, dass bei neu eingerichteten Arbeitssystemen bereits aus ergonomischer Notwendigkeit Korrekturen vorgenommen werden müssen (Reparatur-Ergonomie), die in der Regel mit hohen Kosten und Zeitaufwand verbunden sind.

Überprüfung von ergonomischen Anforderungen

Zur Überprüfung der ergonomischen Anforderungen an Arbeitsplätze haben sich in der betrieblichen Praxis ergonomische Prüflisten bewährt, die z. B. der Fachkraft für Arbeitssicherheit, dem Arbeitsmediziner oder dem Arbeitsplaner gestatten, einen Arbeitsplatz hinsichtlich der ergonomischen Gestaltung zu untersuchen, zu beurteilen und ggf. Änderungsmaßnahmen vorzuschlagen.

Zunehmend werden auch softwaregestützte Instrumente der Arbeitsgestaltung eingesetzt, die von 3D-Simulationen für Gestaltungsalternativen von Arbeitsplätzen bis hin zu ersten Formen der Virtual Reality zur Arbeitssystemgestaltung reichen.

Software-Lösungen für die ergonomische Arbeitsgestaltung

Anbieter von umfangreichen Softwarepaketen für die ergonomische Arbeitsgestaltung haben Expertensysteme entwickelt, die u. a. in der Automobilindustrie eingesetzt werden. Zum Funktionsumfang gehören:

  • 3D-Modellierung des Menschen
  • anthropometrische Variablen
  • Wirbelsäulen- und Handmodelle
  • Gelenke mit gekoppelten Bewegungsräumen
  • Anpassung an Bevölkerungsgruppen
  • Körperhaltungsanalysen
  • Belastungs- und Komfortanalysen
  • Arbeitssequenzmodule, Bekleidungs-, Animationsmodule
  • Kollisionsdetektoren
  • Sichtfelder.

Wirkung und Nutzen von Ergonomie

Durch eine ergonomisch optimale Gestaltung von Arbeitssystemen, die z. B. vorzeitiger Ermüdung und Konzentrationseinbußen sowie körperlicher Fehlbeanspruchung entgegenwirkt, lässt sich im Allgemeinen auch eine Reduzierung der Unfallgefährdung und des Risikos von arbeitsbedingten Erkrankungen und Berufskrankheiten erreichen.

Gesetzliche Regelungen zur Ergonomie

Die Anwendung gesicherter ergonomischer und/oder arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen oder Arbeitssystemen ist in einer Vielzahl von Regelwerken (Gesetze, Verordnungen, UVV) festgeschrieben. Neben den nationalen Regelwerken finden sich zunehmend in den von der Europäischen Union erlassenen Richtlinien Regelungen zur Berücksichtigung von ergonomischen Erkenntnissen bei der Gestaltung von Maschinen und Arbeitsplätzen. Diese Richtlinien werden von den EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt und schaffen dadurch europaweite Mindeststandards.

Weitere Informationen:

Das Angebot der BAD zum Thema Gesundheitsmanagement

Das Angebot der BAD zum Thema Arbeitsmedizin

Quellen

www.arbeit-und-gesundheit.de