Arbeiten in der Notaufnahme
Julia Walder ist leitende Oberärztin in der zentralen Notfallambulanz einer Kölner Klinik. Sie bildet damit die Schnittstelle in der ambulanten und stationären Krankenversorgung. Seit Corona hat sich ihr Arbeitsalltag massiv verändert. Die Dynamik der Pandemie zwang zu umfassenden Anpassungsprozessen – zum Schutz von Patienten und Beschäftigten. Im Interview berichtet sie über ihre Arbeit im Ausnahmezustand.
Wie hat die Pandemie den Arbeitsalltag, die Prozesse, die Abläufe in der Notfallambulanz, aber auch in der ganzen Klinik verändert?
Julia Walder: Die Pandemie hat alle Abläufe bei uns im Krankenhaus komplett auf den Kopf gestellt. Wir mussten innerhalb kurzer Zeit einen Krisenstab ins Leben rufen und viele Entscheidungen treffen, um alles der neuen Situation anzupassen. Es gibt in den Krankenhäusern Katastrophenpläne für verschiedene Situationen wie z.B. Unfälle mit vielen Verletzen oder auch Stromausfälle, aber auf eine Pandemie mit einer globalen Infektionslage waren wahrscheinlich die wenigsten vorbereitet. Vor allem in der Notaufnahme haben wir einiges geändert: Vor dem Eingang steht jetzt ein Zelt, in dem wir ein Screening der Patienten machen, wir fragen strukturiert, ob es Hinweise auf eine COVID-Infektion gibt. Die Notaufnahme haben wir in zwei Bereiche aufgeteilt. Es gibt einen Infektionsbereich und einen „normalen“ Bereich. Im Infektionsbereich wird mit Schutzkleidung gearbeitet. Im Bettenhaus wurde eine Station komplett als Isolierstation eingerichtet. Wenn wir Patienten stationär aufnehmen, erfolgt bei Verdacht auf Corona die Isolation. Jeder wird abgestrichen und getestet, auch vor geplanten Eingriffen. Alle Mitarbeitenden arbeiten inzwischen dauerhaft mit chirurgischem Mundschutz oder bei Patientenkontakt mit FFP2-Masken.
Kommen wir auf Ihre Patienten zu sprechen. Viele Menschen suchen die Notaufnahmen auf, weil sie denken, dass sie sich infiziert haben. Mit welchen Symptomen werden sie vorstellig?
Julia Walder: Wir sehen Patienten in ganz verschiedenen Stadien der Erkrankung. Solche, denen es sehr schlecht geht, die akute Luftnot haben. Das ist eigentlich der Hauptgrund. Wir sehen aber auch Patienten, die vielleicht Kontakt mit einem Infizierten hatten und jetzt Sorge vor einer Ansteckung haben.
Haben Sie ein Muster erkannt, welche Patienten zu Ihnen kommen? Ist das alters- oder geschlechterabhängig?
Julia Walder: Wir haben unsere Patientendaten ausgewertet. Zu Beginn der Pandemie hatten wir eine Fifty-fiftyGeschlechterverteilung, jetzt sind es überwiegend eher Männer, die wir in der zweiten Pandemiewelle behandeln. Es sind eher ältere Patienten, bei den Frauen ist es die Altersgruppe zwischen 50 und 60, bei den Männern zwischen 60 und 70 sowie 80 und 90. Es gibt aber auch sehr alte Patienten, die wenig beeinträchtigt sind, und junge, die sehr stark erkranken, auch wenn sie nicht vorerkrankt sind. Der jüngste Patient, den wir mit Corona behandelt haben und der auch beatmet werden musste, war 26 Jahre alt
Liegt bei Coronapatienten auch ein Selbstverschulden vor, beispielsweise, dass sie die Abstandsregeln nicht eingehalten haben oder die Maske nicht richtig getragen haben? Haben Sie Erkenntnisse darüber?
Julia Walder: Das kann ich nicht so einfach beantworten. Den genauen Ursprung oder den Moment der Ansteckung kann man ja oft nicht nachvollziehen. Was wir mitbekommen, ist, dass sich viele im privaten Umfeld infizieren. Man fühlt sich dort eben vermeintlich sicher, hält auch seltener Abstand und die wenigsten tragen dann eine Maske. Ich denke, kritische Situationen sind auch Pausen in den Unternehmen. Dann steht man vielleicht in einer Raucherpause enger beieinander, die Sozialräume sind eventuell beengt.
Was bedeutet es denn für Patienten, wenn sie an Corona erkrankt sind und längere Zeit im Krankenhaus bleiben müssen, ohne Kontakte zu Verwandten?
Julia Walder: Für die meisten ist es tatsächlich sehr schlimm, keinen Kontakt zu Angehörigen haben zu dürfen. Die Erkrankung an sich ist körperlich schon sehr anstrengend, ebenso psychisch. Man ist auf der Isolierstation, darf sein Zimmer nicht verlassen, das betreuende Personal trägt Schutzbekleidung. Dazu kommt der mangelnde zwischenmenschliche Kontakt, den kann auch das Gespräch über das Smartphone nicht ersetzen. Hinzu kommt noch, dass viele sich Sorgen machen, wie die Erkrankung bei ihnen verlaufen wird. Sie ist unberechenbar, daher extrem seelisch belastend.
Wir erleben momentan eine hitzige Debatte um die Impfstoffe. Haben Sie persönlich darüber nachgedacht, sich nicht impfen zu lassen?
Julia Walder: Wir sind aufgrund der hohen Arbeitsexposition, die wir haben, sehr früh gefragt worden, ob wir uns impfen lassen möchten. Zweifel an der Impfung hatte ich keine.
Was versprechen Sie sich von den Impfungen?
Julia Walder: Mit der Impfung kann man jetzt endlich etwas präventiv gegen das Virus machen, neben dem, was man mit Kontaktreduzierungen, Abstandhalten und Masketragen macht. Impfen hat ja zwei Effekte. Zum einen den individuellen Schutz, zum anderen den Schutz der Allgemeinheit. Als Individualeffekt verspreche ich mir vor allem den Schutz für besonders gefährdete Patienten, sehr betagte Patienten mit deutlichen Vorerkrankungen und dass bei ihnen die Infektion verhindert bzw. die Verläufe deutlich abgemildert werden. Die Impfung ist darüber hinaus ein weiterer wichtiger Baustein zum Schutz der Mitarbeitenden im Krankenhaus, die natürlich im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung noch mal einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt sind.
Gibt es mit Blick auf die Pandemie auch schöne Momente im Arbeitsalltag?
Julia Walder: Wir haben in dieser Krisensituation als Team in der Notaufnahme sehr gut funktioniert. Als innerhalb eines Tages der Isolierbereich aufgebaut werden musste, hat jeder mitangepackt und seine Ideen eingebracht. Und man hat ja auch mal einen schlechten Tag, ist genervt von den Maßnahmen. Dann sind die Kolleginnen und Kollegen zur Stelle, um einen aufzumuntern. Außerdem mussten einige Mitarbeiter des Krankenhauses coronabedingt an anderen Plätzen arbeiten, so haben wir Verstärkung aus anderen Bereichen in der Notaufnahme bekommen. Wenn wir jetzt diese Kollegen treffen, ist das immer sehr freundlich, wir haben einen anderen Draht zueinander. Es hat mich von Anfang an begeistert, dass viele auch Lust hatten, mitanzupacken und zu unterstützen. Wenn man ein Team hat, mit dem man gut zurechtkommt, ist das eine große Unterstützung.
Bekommen Sie auch Dankbarkeit von den Patienten?
Julia Walder: Viele Patienten spiegeln zurück, dass sie sich sehr sicher fühlen in unserem Krankenhaus und wie wir die Situation handhaben. Das merken wir bei den Notfallpatienten in unserer zentralen Notaufnahme, aber auch bei Patienten, die zu einer geplanten Operation ins Krankenhaus kommen. Natürlich unterliegen alle Maßnahmen, die wir treffen, einem schnellen Wandel. Wir müssen auf Änderungen sofort reagieren. Das kann natürlich bedeuten, dass auch mal geplante Aufnahmen oder Operationen verschoben werden müssen. Das passiert jetzt häufiger, als das vorher der Fall war. Die meisten haben jedoch dafür Verständnis.
Wagen wir den Blick in die Glaskugel: Wann kehrt das richtige Leben wieder ein? Was denken Sie?
Julia Walder: Ich persönlich wünsche mir – wie wohl alle Menschen –, dass die Impfungen schnell voranschreiten und wir alle Isolier- und Schutzmaßnahmen hinter uns lassen können. Ich bin da allerdings skeptisch und denke schon, es wird sich noch etwas hinziehen. Es wird die ein oder andere Lockerung geben, jedoch auch vermutlich wieder Ausbrüche, sodass man doch noch mal einen Schritt zurückgehen und begrenzen muss. Unseren Arbeitsalltag im Krankenhaus wird Corona in jedem Fall nachhaltig beeinträchtigen.