Roboter Pepper, der perfekte Animateur

Pflegenotstand

Fachkräfte in der Altenpflege arbeiten aufgrund des Pflegenotstands in Deutschland oft für zwei. Addiert man die enormen physischen Belastungen für die Pfleger, dauert es nicht mehr lange, bis das Pflegesystem vollends kollabiert. Die Lösung: Roboter könnten in der Pflege die Zukunft sein – zumindest ein wenig.

Siegen-Weidenau in Nordrhein-Westfalen. Pflegeeinrichtung Marienheim. 119 Bewohner leben hier, 99 Pflegekräfte kümmern sich um sie. Ein kleines weißes Kerlchen läuft kichernd in das Zimmer von Bewohner Heinrich Patt. Das niedliche Wesen mit den Kulleraugen ist „Pepper“: ein sogenannter sozialinteraktiver Roboter aus Kunststoff. „Schau mir in die Augen, damit ich Dein Gesicht erkennen kann!“, begrüßt Pepper Heinrich Patt. Der Senior streichelt Pepper sanft über den Kopf. Sie kennen sich schon eine Weile. Pepper begleitet den Bewohner in einen Gruppenraum, in dem schon weitere Bewohner im Stuhlkreis auf die beiden warten.

Pepper ist Animateur und zugleich Spaßmacher. Er ist 1,20 Meter groß, rund 28 Kilogramm schwer und bewegt sich mit rund drei Stundenkilometern. Vor mehr als zwei Jahren haben die Universität Siegen und die Fachhochschule Kiel in einem gemeinsamen Projekt mit aufwendigen Programmierarbeiten begonnen, dem Roboter Leben einzuhauchen. Und ihn für Alltagssituationen fit zu machen. Pepper kann mit Menschen musizieren und tanzen. Oder mit ihnen spielen. Jetzt steht im Marienheim eine Ratestunde an. Der humanoide Roboter steht vor einem der Senioren. An seinem Bauch ist ein Tablet befestigt. Darauf sieht der Heimbewohner zwei Musikinstrumente: zwei Rasseln und ein Horn. Pepper spielt eine Melodie ab. Zu welchem Instrument die Musik gehört? Zielsicher tippt der Senior auf dem Tabletbildschirm die richtige Antwort „Horn“ an. „Super, das hast Du toll gemacht”, lobt Pepper sein Gegenüber. Alle Bewohner freuen sich. Ein schöner Zeitvertreib für die älteren Menschen.

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Deutsche Wissenschaftler betreten mit Robotern in der Pflege Neuland

Was sich in der Autobranche oder Lagerlogistik schon seit längerer Zeit etabliert hat, ist für hiesige Wissenschaftler mit Fokus auf die Berufe im Sozialund Gesundheitswesen noch neu. Daher macht das Bundesforschungsministerium für die Erforschung und Entwicklung von sozialen Robotern in der Pflege bis zum Jahr 2022 über 20 Millionen Euro locker.

Dass Pflegekräfte hierzulande unter schwierigen Bedingungen arbeiten und Unterstützung gut gebrauchen könnten, − auch wenn es nur Roboter sind −, machen folgende Zahlen deutlich: Ende 2017 waren laut Statistischem Bundesamt 3,41 Millionen Deutsche pflegebedürftig. Davon ist knapp ein Viertel, rund 850.000 Menschen, auf ständige Betreuung in einer Pflegeeinrichtung angewiesen. Dem gegenüber stehen 730.000 Pflegekräfte. Allerdings arbeiten davon nur 525.000 in Vollzeit. Es fehlen also mindestens weitere 100.000 Fachkräfte in der Altenpflege, um eine ausreichend gute Pflege anbieten zu können, rechnen Experten vor.

Die Situation kommt nicht von ungefähr: Pflegekräfte werden oftmals schlecht bezahlt. Sie arbeiten im Schichtdienst und erkranken nicht selten durch das Heben und Lagern von Patienten etwa an Rückenschmerzen oder erleiden aufgrund der hohen psychischen Belastungen einen Burnout.

„Es ist aber nicht das Ziel, dass der Roboter eine Pflegekraft ersetzt. Keine Pflegekraft muss Angst um ihren Job haben. Im Gegenteil: Man sollte sich nicht zu stark auf Roboter verlassen. Das Themenspektrum von Pflegern wird immer breit bleiben“, schätzt Felix Carros, einer der verantwortlichen wissenschaftlichen Mitarbeiter am Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik und Neue Medien an der Universität Siegen. „Wenn sich der Roboter für ein paar Minuten mit den Senioren beschäftigt und für Freude und ein Lächeln sorgt, dann ist das schon aus unserer Sicht eine Entlastung für die Pfleger“, so Carros.

 

Pflegeroboter: Freund oder Feind?

Pflegeroboter stoßen laut Studien weltweit bei Pflegekräften wie Pflegebedürftigen auf weit weniger Skepsis als anfangs angenommen.

Ob Pflegeroboter den Pflegenotstand lösen können? Aktuell ist dies schwierig zu beantworten. Neben offenen ethischen und datenschutzrechtlichen Aspekten sind die Roboter technisch nicht so weit, dass sie autonom bzw. teil-autonom agieren und damit individuell auf Personen reagieren können.

„Das ist eine unserer größten Herausforderungen, dass viele glauben, unsere Roboter könnten schon viel. Es wird noch lange dauern, bis Pepper intelligent genug ist, um autonom in einem Pflegeheim agieren zu können”, betont Felix Carros, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik und Neue Medien an der Universität Siegen.

 

„Der Mensch steht bei uns
im Mittelpunkt“

Technisch scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, ehe Roboter auch in der eigentlichen Pflege unterstützen könnten, sagt der Wissenschaftler. In ethischer Hinsicht müsse aber jeder selbst für sich beantworten, ob er das möchte. Immerhin können sich jetzt schon 41 Prozent der Deutschen laut einer aktuellen Umfrage des Digitalverbands Bitkom vorstellen, sich von einem Roboter zumindest zeitweise pflegen zu lassen. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar 51 Prozent, bei der Generation 65 plus sind es 37 Prozent.

Dieses Szenario ist für Jörg Boenig noch recht weit weg. Der Leiter des Marienheims in Siegen-Weidenau sagt: „Für uns bleibt es ein Projekt, auf das wir uns gerne eingelassen haben. Und wir sind froh, mit diesem und anderen digitalen Themenprojekten am Puls der Zeit zu sein. Aber es ist kein Betreuungsangebot.“ Natürlich könnten irgendwann die physischen Belastungen für die Pfleger durch Roboter reduziert werden, wenn sie auch dort unterstützt würden, aber: „Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt“, betont Boenig.

Nichtsdestotrotz sei es für ihn und die Pflegekräfte sehr spannend gewesen, die Reaktionen der Bewohner zu beobachten. „Es hat mich überrascht, wie offen sie mit dem Roboter umgegangen sind“, so Boenig.

Anna Manskopf hat Pepper besonders gern. Er spielt der Marienheim-Bewohnerin ein schönes Lied vor, dreht dabei „verliebt“ den Kopf. Sie schaut ihm dabei zu und tätschelt seinen Arm. Auch wenn ihr die menschliche Wärme fehlt, findet sie: „Pepper ist ein lieber Kerl.“

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