"Wer kein Bier mittrank, wurde niedergemacht"

Interview

Als Profi-Fußballer bei Werder Bremen, Borussia Mönchengladbach und in der Nationalelf gab Ulrich Borowka 100-prozentige Leistung, ebenso als Alkoholiker. Es ist die Lebensgeschichte eines Mannes, der durch harte Arbeit schnell aufstieg, um dann radikal zu fallen.

"Heute bin ich ein glücklicher Mensch", sagt Borowka im Interview. Und er sei mit sich im Reinen. Für BAD ist er zum Thema „Sucht am Arbeitsplatz“ seit einiger Zeit regelmäßig unterwegs, beispielsweise auf Gesundheitstagen oder am 10. September beim ersten Expertentalk in Bonn.

Herr Borowka, Sie waren erfolgreicher Profifußballer und haben eine ebenso lange Karriere als Alkoholiker hinter sich. Sie sind nicht der einzige Sportler, dem es so ergeht. Wieso landen insbesondere Fußballprofis immer wieder an der Flasche?

Ulrich Borowka:
19 Prozent aller aktiven Spieler trinken zu viel Alkohol, nehmen Drogen oder Medikamente. Das kann man in einer Studie der Spielervereinigung Fifpro nachlesen. Oft beginnt es bereits im Jugendalter: Wer kein Bier mittrinkt, wird niedergemacht. Das setzt sich fort. Der Leistungsanspruch ist außerdem im Profigeschäft enorm. Der öffentliche Druck und die Medien forcieren dies noch. Viele Spieler denken, sich zudem ihre Versagensängste einfach wegtrinken zu können.

Alkohol am Arbeitsplatz gehört zu den größten Herausforderungen im heutigen Berufsleben. Deutschland bleibt laut der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung Hochkonsumland in Bezug auf Alkohol. 7,8 Millionen Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren gelten als sogenannte "Risikotrinker". Welchen Rat geben Sie, wenn außer Frage steht, dass jemand ein Alkoholproblem hat?

Borowka:
Es ist alles hilfreich, solange das Problem nicht ignoriert oder sogar unterstützt wird. Auch wenn es sehr schwer fällt, ist eine gezielte Ansprache an den Kollegen der erste wichtige Schritt, ihn mit der Krankheit bewusst zu konfrontieren. Genauso wichtig ist es aber auch, konkrete Hilfe anzubieten und ihn mit dem Problem nicht alleine zu lassen. Der Weg ist sehr lang und steinig. Nicht immer kann man den Menschen helfen bzw. sie davon überzeugen, sich helfen zu lassen. Aber es zu versuchen, ist das Mindeste, was jeder im Umgang mit seinen Mitmenschen tun kann.

In Ihrer Biografie „Volle Pulle – Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker“ beschreiben Sie Ihren Absturz. Weshalb wurde bei Ihnen das Trinken zur Sucht?

Borowka:
Los ging es schon sehr früh. Meine Eltern haben 40 Jahre lang eine Vereinskneipe im Sauerland betrieben, daher war Alkohol schon in meiner Jugend allgegenwärtig. Auch während meiner Lehre als Maschinenschlosser gehörte das Feierabendbierchen dazu. Psychisch abhängig wurde ich dann in der Zeit bei Borussia Mönchengladbach. Da dachte ich schon während des Trainings permanent ans Trinken. Von dieser Zeit an habe ich dann fast 20 Jahre durchgetrunken, die Mengen wurden immer größer. Zuletzt waren es zwei Kästen Bier, eine Flasche Wodka und eine Flasche Whisky. Teilweise bin ich morgens um acht aus der Kneipe gefallen, um gegen neun Uhr auf dem Trainingsplatz zu stehen und alles zu geben.  Hinzu kam dann noch, dass ich immer der Stärkste und der Größte sein wollte. Wenn wir mit der Mannschaft abends essen gingen, tranken die Kollegen zwei Gläser Wein, ich trank zwei Flaschen.

Wer hat Ihnen geholfen, wieder auf die Beine zu kommen?

Borowka:
Mein ehemaliger Mitspieler bei Borussia Mönchengladbach, Christian Hochstätter, und der damalige Präsident Wilfried Jacobs haben mich gesehen und das Problem erkannt. Sie besorgten mir einen Therapieplatz und ließen mich zur Klinik fahren. Ich habe erst nach einigen Wochen in der Klinik erkannt, dass ich tatsächlich Hilfe brauche.

Sie sind in der Suchtprävention und Suchthilfe heute sehr aktiv. Beispielsweise haben Sie einen Verein gegründet, der als Anlaufstelle dient. Wer wendet sich an Sie?

Borowka:
Auf meine Biografie bekam ich viel positives Feedback, aber auch viele Nachrichten und Anrufe, bei denen mich Menschen um Hilfe baten. Ich konnte durch meine eigene Lebensgeschichte Menschen zum Nachdenken bringen bzw. ihnen helfen, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen. Ich wollte meine eigene Geschichte für etwas Positives und Sinnvolles
nutzen. Die Gründung eines Vereins war für mich eine logische und richtige Konsequenz.

Seit Gründung des Vereins haben sich über 1000 Menschen bei mir gemeldet. Ich maße mir nicht an, ein Therapeut zu sein. Aber wenn die Spieler mich anrufen, kann ich sie an professionelle Hände weiterleiten und ihnen Ratschläge geben.


Welche Ziele haben Sie persönlich für die Zukunft?

Borowka:
Mein Hauptziel ist es immer, trocken zu bleiben, denn das ist die Grundvoraussetzung für alle weiteren Pläne und Ziele. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass jeder Tag, an dem ich trocken bin, mehr Wert hat als jeder Titel, den ich in den Jahren meiner Profilaufbahn gewonnen habe.


Sie waren nun schon häufig Gastreferent auf  BAD-Veranstaltungen. Sie werden auch im September bei unserem ersten Expertentalk dabei sein. Was hat Sie zur Zusammenarbeit bewogen?

Borowka: 
BAD tabuisiert das Thema nicht, sondern versucht, in den betreuten Unternehmen gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen zu finden. Dass diese Hilfestellungen angeboten werden, ist entscheidend. Auch sollten Unternehmen umdenken und derartige Tabuthemen offener behandeln.

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