Fahrlässigkeit

Fahrlässigkeit ist im Bürgerlichen Gesetzbuch folgendermaßen definiert (§ 276 I 2 BGB): "Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt." Wird diese Sorgfalt in besonders grobem Maße verletzt, werden also selbst einfache, jedem einleuchtende Überlegungen nicht angestellt, dann spricht man von grober Fahrlässigkeit.

Bedeutung des Begriffs "Fahrlässigkeit"

Der Begriff "Fahrlässigkeit" hat in vielen Gebieten unseres Rechtssystems eine wichtige Bedeutung, z. B. im Straf- und Zivilrecht, im Ordnungswidrigkeitenrecht und im Verkehrsrecht. Auch im Sozialversicherungsrecht und im System der gesetzlichen Unfallversicherung spielt er eine wesentliche Rolle. Hier ist die Frage, ob fahrlässiges Verhalten vorgelegen hat, in folgenden Fällen von Bedeutung:

  1. Wenn es um die Ahndung von Verstößen gegen die Unfallverhütungsvorschriften und die Anordnungen von Aufsichtspersonen (Technische Aufsichtsbeamte) geht.
  2. Wenn es um Fragen zivilrechtlicher Haftung und strafrechtlicher Verantwortung geht, die sich im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit stellen.
  3. Wenn über den Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach selbst verschuldeter Arbeitsunfähigkeit entschieden werden soll.


Zu 1: Die Unfallverhütungsvorschriften der gesetzlichen Unfallversicherungen beinhalten eine Vielzahl von Ge- und Verboten, die von Unternehmern und Beschäftigten im Betrieb und bei der Arbeit zu berücksichtigen sind.

Einige dieser Vorschriften sind bußgeldbewehrt. Ihre Übertretung kann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden (§ 209 SGB VII), wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt. Vorsätzliches Handeln liegt dann vor, wenn jemand die Verletzung der Unfallverhütungsvorschriften mit Wissen und Wollen begeht. Dem vorsätzlichen Handeln ist es juristisch gleichgestellt, wenn jemand nicht tätig wird - obwohl er die Verpflichtung zum Handeln hat - und er sich dabei des Unrechts seines Handelns oder des Verstoßes gegen Ge- und Verbote bewusst ist.

Von bedingtem Vorsatz spricht man dann, wenn der Handelnde es nur für möglich hält, dass er mit seinem Handeln gegen ein Verbot oder Gebot verstößt oder sonst Unrecht tut, es aber billigend in Kauf nimmt (siehe W. Bereiter-Hahn u. a.).

Unbewusste Fahrlässigkeit

Während es beim Vorsatz also auf das Wissen und das Wollen sowie das Bewusstsein um den Verstoß ankommt, steht bei der Fahrlässigkeit die Sorgfalt als bestimmendes Merkmal im Mittelpunkt. Von fahrlässigem Handeln spricht man dann, wenn die Sorgfalt außer Acht gelassen wurde, zu der man nach den Umständen und nach den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande war. Wegen der verletzten Sorgfaltspflicht hat man die Folgen seines Handelns nicht vorausgesehen. Bei Anwendung der Sorgfaltspflicht hätte man sie aber voraussehen können (unbewusste Fahrlässigkeit).

Bewusste Fahrlässigkeit

Von der unbewussten Fahrlässigkeit lässt sich die bewusste Fahrlässigkeit abgrenzen. Sie liegt dann vor, wenn man den Eintritt der Folgen des gebots- oder verbotswidrigen Verhaltens zwar für möglich gehalten hat, aber darauf vertraute, er werde nicht eintreten.

Wenn ein vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstoß gegen die bußgeldbewehrten Unfallverhütungsvorschriften bzw. Auflagen von Aufsichtspersonen (Technischen Aufsichtsbeamten) festgestellt ist, liegt eine Ordnungswidrigkeit vor. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Verstoß zu einem Unfall geführt hat, ob es sich um eine einmalige oder mehrfache Übertretung handelte und ob die Übertretung aus wirtschaftlichen Interessen erfolgte.

Die Berufsgenossenschaften können - müssen aber nicht - ein Bußgeld zur Ahndung der Ordnungswidrigkeit verhängen. Dieses kann bis zu 10.000 Euro betragen und sowohl gegen Unternehmer als auch gegen Beschäftigte ausgesprochen werden.

Zu 2: Angenommen, ein Unternehmer bzw. Betriebsangehöriger hat schuldhaft den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit eines anderen Betriebsangehörigen verursacht. Nach den Grundsätzen des Zivilrechts wäre der Verursacher dann verpflichtet (Haftung), den entstandenen Schaden zu ersetzen (z. B. Zahlung von Schmerzensgeld). Um Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Unternehmer bzw. dem Betriebsangehörigen einerseits und dem Verunglückten andererseits zu vermeiden und dessen materielle Absicherung zu gewährleisten, hat man im Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) diese Haftung eingeschränkt: Der Verursacher bleibt vor allem nur dann haftbar, wenn er den Unfall vorsätzlich verursacht hat (s. Näheres in §§ 104,105 SGB VII). Vorsatz liegt vor, wenn der Unfall bewusst und gewollt herbeigeführt wurde.

Hat der Verursacher hingegen fahrlässig oder grob fahrlässig gehandelt, dann ist er gegenüber dem Geschädigten nicht mehr haftbar. In beiden Fällen geht die Haftung auf den gesetzlichen Unfallversicherungsträger über (z. B. die Berufsgenossenschaften). Dieser leistet die Entschädigung.

Der Unfallversicherungsträger kann sich die Entschädigungsleistungen beim Schädiger aber zurückholen (Rückgriffsrecht oder Regress§ 110 SGB VII).

Dies ist jedoch an bestimmte Voraussetzungen geknüpft: Unternehmer bzw. Mitarbeiter müssen den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit bewusst und gewollt, also vorsätzlich, oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. Fahrlässigkeit reicht nicht aus. Grob fahrlässiges Handeln liegt vor, wenn die jeweils erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen des Einzelfalles in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wird. Einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen werden nicht angestellt. Der Handelnde bedenkt nicht, was jedem im gegebenen Fall als richtig und notwendig eingeleuchtet hätte. Es liegt eine objektiv krasse und subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung vor.

Liegt Vorsatz bzw. grobe Fahrlässigkeit vor, dann haftet der Unternehmer bzw. Mitarbeiter gegenüber der Berufsgenossenschaft für alles, was diese infolge des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit aufwenden muss (z. B. Hinterbliebenenrente, Gutachterkosten). Die Berufsgenossenschaften müssen dabei aber prüfen, ob sie in Anbetracht der wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Wahrnehmung ihres Rückgriffsrechts verzichten müssen. Unter Umständen fängt eine bestehende Betriebshaftpflichtversicherung diese Haftung des Betriebes gegenüber der Berufsgenossenschaft ab (allenfalls bei grober Fahrlässigkeit, keinesfalls bei Vorsatz).

Die bisherigen Ausführungen betrafen die zivilrechtliche Haftung aus Anlass eines Arbeitsunfalls/einer Berufskrankheit. Dabei ging es um die Regulierung von Schadenersatzansprüchen. Von der zivilrechtlichen Haftung streng zu unterscheiden ist die strafrechtliche Verantwortung. Hier geht es um den Strafanspruch des Staates gegen Rechtsbrecher, um die Sühne für begangenes Unrecht, z. B. für Delikte wie fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) oder fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB).

Eine strafrechtliche Verantwortung im Zusammenhang mit einem schuldhaft verursachten Arbeitsunfall kann dann vorliegen, wenn der Unternehmer bzw. Betriebsangehörige den Arbeitsunfall verursacht oder nicht vermieden hat, obwohl er dazu objektiv verpflichtet und subjektiv (auf Grund seiner persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse und der konkreten Umstände) in der Lage war. Diese strafrechtliche Haftung kann nicht im Rahmen einer Versicherung abgefangen werden.

Zu 3: Grob fahrlässiges Verhalten kann auch den Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung gefährden. Kommt es z. B. durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Nichtbeachten der Unfallverhütungsvorschriften zur Arbeitsunfähigkeit, dann ist der Anspruch auf Entgeltzahlung ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung kann selbst verschuldete Arbeitsunfähigkeit etwa dann vorliegen, wenn Persönliche Schutzausrüstungen nicht benutzt wurden, obwohl der Unternehmer sie zur Verfügung stellte und die Mitarbeiter über die Gefahren im Fall der Nichtbenutzung belehrt hat. Wiederholte Verstöße gegen Unfallverhütungsvorschriften können sogar zur fristlosen Entlassung führen.


Weitere Informationen zum Thema: